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2001 - Berichte 3.
Nachrichten aus verschiedenen Quellen.
 

NÜRENSDORF / Ein Jumbolino stürzt unterhalb der Waldhütte ab – erste Eindrücke wenige Minuten nach dem Unglück

Wenn das Undenkbare vor der Haustür geschieht

Die Heckflosse ragt zwischen den Bäumen hoch in die Nacht. Wie ein apokalyptisches Mahnmal schimmert das rotweisse Crossair-Logo deutlich zwischen den Stämmen durch.
Urs Wegmann

Es schneit. Die Scheinwerfer der Rettungskräfte leuchten in den Wald. Das grelle Licht wird verstärkt durch den Schnee und den Rauch, der aus den Wrackteilen zieht und sich in den Baumkronen verflüchtigt.

Hier hat sich vor wenigen Minuten ereignet, was zwar statistisch möglich, aber trotzdem undenkbar schien; verdrängt, weil es nicht sein konnte und sein durfte, dass so nah am eigenen Wohnort ein Flugzeug abstürzt, zum dritten Mal innert zwei Jahren: am 10. Januar 2000 die Crossair in Nassenwil, am 26. Mai 2000 eine Piper in Rümlang und jetzt direkt vor der eigenen Haustür. Täglich fliegen die Maschinen über die Köpfe der Menschen, die um den Flughafen wohnen, donnern beim Starten über die Häuser und rauschen beim Landen. Und jetzt ist es wieder passiert. Zu früh und zu tief, nur noch wenige Kilometer vor dem Flughafen stürzte das Flugzeug in den Wald zwischen zwei Hügel, zwischen die Walishalden und den Geissbühl.

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200 Meter unterhalb der Bassersdorfer Waldhütte liegen die verbogenen Trümmer oder stecken im weichen Boden. Im beliebten Naherholungsgebiet bilden sich erste Suchtrupps, denn es hat Überlebende gegeben. Feuerwehrleute, Polizisten, Sanitäter und einige freiwillige Helfer aus der Bevölkerung gehen die Kieswege auf und ab, zünden mit Taschenlampen ins Unterholz, in der Hoffnung, keine weiteren Leichen, sondern Lebende zu finden.

Einer der Freiwilligen ist der 25-jährige Kevin Hey, der in der Nähe einige Kollegen besucht hat. Es ist nicht der erste Flugzeugabsturz, den er erlebt. Er wohnte nur 100 Meter entfernt als vor Jahren in Kloten eine Cessna in ein Wohnhaus geflogen ist. «Mir war sofort klar, dass ich hier helfen muss», sagt er. Mit zwei Kollegen versucht er den Rettungsmannschaften bei der Suche nach Überlebenden zu helfen, die vielleicht verletzt und verstört durch den nächtlichen Wald irren, Hilfe suchen, frieren und nicht wissen, wo sie sind: Sie sind in Bassersdorf, 200 Meter von der Ortsgrenze zu Nürensdorf, 900 Meter hinter dem Restaurant «Kreuzstrasse» in Birchwil, das sie eben überflogen haben.

Während an der Absturzstelle die Such- und Rettungsarbeiten vorangetrieben werden, füllt sich die «Kreuzstrasse» bis auf den letzten Platz. Eben noch wurden in der Gaststätte zwei Personen verarztet, die den Absturz überlebt hatten. Im Wirtshaus drängen sich Rettungskräfte und Journalisten. Einige Gäste sitzen noch am Tisch. Einer will den Absturz gesehen haben. «Zweimal sah ich es hell aufleuchten im Wald», sagt er. Wirt Rolf Bischoff hat weder etwas gesehen noch gehört. Es sei eben lärmig gewesen bei ihm im Restaurant. «Dann hat es in der ganzen Gegend verbrannt gerochen.»

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Das Säli und das angebaute Zelt werden zur Informationszentrale umfunktioniert. Birchwil steht im Zentrum des internationalen Medieninteresses. Der Nürensdorfer Gemeindepräsident Franz Brunner und sein Bassersdorfer Amtskollege Franz Zemp geben Interviews. Die Polizei informiert, dass noch immer Überlebende gesucht werden. Ein Gebiet von Gerlisberg bis Bassersdorf und Birchwil wird abgesperrt. Auch Stunden später, wenn es wieder hell wird, werden noch über ein Dutzend Menschen vermisst sein.

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Flugzeugabsturz: Tote, Verletzte, Betroffene

Crash kurz vor der Landung

Die schwarze Serie von Tod und Verderben im Herbst 2001 reisst nicht ab. Der Absturz einer Crossair-Maschine von Samstagnacht lässt die Hoffnung auf bessere Zeiten ein weiteres Mal schwinden.

Sie hatten das Ziel ihres 90-minütigen Fluges von Berlin nach Zürich bereits vor Augen, die 28 Passagiere und 5 Crewmitglieder des Crossair-Fluges LX3597. Nur sieben oder acht Minuten, so vermuten Fachleute, war die Maschine vom Typ mit dem zungenbrecherischen Kürzel Avro RJ 100 - längst mit dem Kosenamen «Jumbolino» bedacht - von der Piste 28 in Zürich-Kloten entfernt, wo die beiden Piloten sie hätten landen wollen.
Doch um 22.08 Uhr verschwand LX3597 von den Radarschirmen des Kontrollturms: Die Maschine stürzte in einem Waldstück bei Bassersdorf ab. Als Minuten später die ersten Rettungskräfte von Polizei, Feuerwehr und Sanität am Unglücksort eintrafen, liefen ihnen mehrere Personen aus der Richtung des Wracks entgegen - die Überlebenden des Absturzes, bei dem nach Polizeiangaben von gestern Abend 24 Menschen ums Leben gekommen sind.
Urs Klemmer, Oberarzt bei der Rettungsflugwacht, war kaum von seiner Samstagsschicht nach Hause zurückgekehrt, als man ihm den Absturz meldete. «Sofort alarmierten wir alle verfügbaren Ärzte», erzählt Klemmer, der selber später auch an der Unfallstelle war, zunächst aber das Geschehen von der in unmittelbarer Nähe eingerichteten Patienten-Sammelstelle im Restaurant Kreuzstrasse in Birchwil bei Bassersdorf mitverfolgte.
Die Rega stellte auch sofort eines ihrer Flugzeuge bereit, um Patienten mit Verbrennungen allenfalls in Kliniken im Ausland zu bringen. «Verbrennungen gelten als äusserst pflegeintensiv», so Urs Klemmer; «in der Regel werden nicht mehr als zwei solcher Patienten im selben Spital behandelt.» Doch die Rega-Maschine wurde nicht gebraucht.

Die Vermissten
Die Rettungskräfte vor Ort schöpften zunächst Hoffnung: Wenn einem aus einem Flugzeugwrack Menschen entgegenlaufen, überlegten sie, so gibt es wohl noch weitere Überlebende. Doch der Eindruck täuschte. Den Mittelteil des Flugzeugs trafen die Retter völlig ausgebrannt an. Dort hatten sich die meisten der 33 Passagiere und Crewmitglieder aufgehalten.
Unmittelbar nach dem Absturz konnten neun Verletzte geborgen werden; zehn Todesopfer zählte man zu dieser Zeit, 14 galten als vermisst. Gestern Abend stand indes fest, dass sie den Absturz nicht überlebt haben.

Die Überlebenden
Mit zum Teil schweren Verbrennungen wurden die neun Überlebenden in die umliegenden Spitäler gebracht, unter ihnen die Surseer Werbegrafikerin Myriam Wettstein und Jacqueline Badran, welche gestern beschrieben, wie sie das Unglück erlebt hatten.
«Es war wie im Film», sagte Myriam Wettstein. «Es kann gar nicht wahr sein. Es sind die Bilder, die man in allen Katastrophenfilmen sieht.» Als das Flugzeug in den Wald abgestürzt sei, habe sie den Kopf auf die Knie gesenkt, wie sie dies oft gehört habe. Dann habe sie gewartet, «bis es fertig war». Sie habe gewusst: «Vorne hat es Feuer, da kann ich nicht raus.» Im hinteren Teil des Flugzeuges aber habe sie das rettende Loch gesehen. Myriam Wettstein wollte so schnell wie möglich wegrennen. «Doch da hörten wir Schreie.» Ein Passagier, der die Maschine im selben Moment wie sie verlassen hatte, ging darauf zurück ins Flugzeug, um jene Person zu befreien. Zur gleichen Zeit habe sie eine andere Passagierin gesehen, die in der Nähe des Flugzeuges am Boden gelegen habe. Mit den Worten «Komm, wir müssen weg, alles wird explodieren», führte sie die Frau vom Wrack der Unglücksmaschine weg.
Zur Explosion kam es nicht, was auch Jacqueline Badran half. Sie hatte sich «sofort losgeschnallt», erzählt sie. «Vor mir brannte es. Da habe ich mich umgedreht und gesehen, es ist frei.» Das Heck sei abgebrochen gewesen; sie habe den schneebedeckten Waldboden gesehen. «Dann bin ich da einfach herausgestürzt.»

Die Betroffenen
Während gestern die unmittelbaren Rettungsarbeiten beendet und die schweren Verbrennungen der Überlebenden behandelt wurden, zeigte sich die Spitze der Crossair tief betroffen von dem Unglück - dem zweiten innert zwei Jahren, das eine Crossair-Maschine betrifft: Am 10. Januar 2000 war ein Saab-Cityliner kurz nach dem Abflug in Kloten Richtung Dresden bei Niederhasli abgestürzt; alle 10 Flugzeuginsassen waren dabei ums Leben gekommen. «Ich bin geschockt», sagte Crossair-Verwaltungsratspräsident Moritz Suter gestern Nachmittag. Konzernchef André Dosé betonte, dass «momentan die Bewältigung der Katastrophe und die Bergungsarbeiten» im Vordergrund stünden. Erschüttert zeigte sich auch Bundespräsident Moritz Leuenberger (siehe Text links), der gestern Nachmittag selber die Unfallstelle besuchte.
Ein Beileidsschreiben zum Absturz der Crossair-Maschine sandte gestern auch der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. «Mit grosser Trauer» habe er von dem Absturz erfahren. «Mein Mitgefühl», so Schröder, «gilt den Opfern und ihren Angehörigen. Den Verletzten dieses tragischen Unglückes wünsche ich eine raschestmögliche Genesung.»
Der Ausdruck der persönlichen Anteilnahme der Politik- und Wirtschaftsgrössen konnte indes kaum verbergen, dass sie sich auch schwere Sorgen um die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Unglückes machen, welches die Crossair «in einem schwierigen Moment» treffe, wie Dosé sagte. Tatsächlich trifft das Unglück die Crossair just, als sie bei den verunsicherten Kunden wieder Vertrauen gewinnen konnte. Im November noch hatte sie die Vorjahreszahlen um 1 Prozent übertroffen; die Gesamtauslastung lag bei rund 47 Prozent. Unmittelbarste Reaktion auf das Unglück von Bassersdorf dürften jetzt aber - nach dem Grounding der Swissair vom Oktober bereits zum zweiten Mal - rückläufige Passagierzahlen sein.

Die Diskussion
Prompt flammte gestern, nur Stunden nach dem Unglück selber, die Diskussion um politische Hintergründe auf - auf die genau gleiche Art wie nach dem verheerenden Brand im Gotthardtunnel vom 24. Oktober 2001. Die Piste 28, wo die Crossair-Maschine hätten landen sollen, wird nämlich erst seit wenigen Wochen für Flüge zwischen 22 und 6 Uhr benutzt, dies wegen des neuen Staatsvertrages zwischen der Schweiz und Deutschland. So forderte SVP-Präsident Ueli Maurer die gründliche Überprüfung der Anflugverfahren, «und zwar auch hinsichtlich möglicher Folgen von politischen Fehlentscheiden durch das Luftverkehrsabkommen mit Deutschland».
Dezenter gaben sich CVP und FDP, welche die «neue» Airline der Schweiz mit «zusätzlichen Sicherheitsfragen belastet» sehen, wie auch die SP, die trotz des Unfalles die Umsetzung der neuen Airline forderte.
Bundespräsident Leuenberger verwahrte sich umgehend gegen «politische Unterstellungen». Nach der fünften Katastrophe in diesem Herbst mahnte er zum Zusammenhalt; man dürfe jetzt nicht die Hoffnung verlieren.

Fredy Gasser

Quelle: Internet